1.2.68 Tränen der Liebe

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JasminRheinhessen
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1.2.68 Tränen der Liebe

Beitrag von JasminRheinhessen » 02 Apr 2017, 23:47

(Hinweis: unformatierte Zeilenumbrüche)

Donnerstagmorgen, 8. April 2077, 6:22 Uhr. Klinikzentrum, Zimmer 22

Mirabell öffnete die Augen, sie spürte das Anne wach war. Das Mondlicht leuchtete das Zimmer hell aus, dass sich sogar Schatten bildeten. Mirabell hob etwas ihren Kopf unter der Bettdecke und schaute über Yvonnes Schultern. Anne lag dicht an Yvonnes Brüsten, Ihren Kopf fast schon in sie hineinvergraben, aber ihre Augen waren offen. Schauten ins Leere. Mirabell umschlang sie nun wieder mit ihrem Arm, streichelte ihren Rücken, die Wirbelsäule entlang.
„Warum schläfst Du nicht Liebes? Das geht mit offenen Augen aber nicht Schatz, dazu musst Du sie schon zumachen...“ Mirabell strich Anne jetzt mit der Hand, mit der sie gerade noch ihren Rücken streichelte über ihre rechte Wange.
„Komm, schlaf noch ein wenig“ flüsterte Mirabell, damit Yvonne nicht wach wurde, sie schlief aber jetzt so fest, als müsste sie Monate Schlaf nachholen.
„Denkst Du wieder an Deine Mutter? Deine Eltern? Ja - das sehe ich an Deinen Augen - beruhig Dich. Du bist nicht allein - Du weißt doch, dass ich da bin. Ja?“ Mirabell zog jetzt Anna's rechten Mundwinkel etwas nach oben, damit sie lächelte, und damit verhinderte sie, dass sich ihr Gesicht noch mehr in Trauer verzerrte.
„Anne, mein Schatz. Was ist denn. Du bist doch so stark gewesen die Tage. Hm?“

„Mirabell, ich..., weißt Du, das 4. Gebot. Du sollst Deinen Vater und Mutter ehren...“, weiter kam Anne nicht mehr, und fing an zu schluchzen. Mirabell konnte sie nicht umarmen, Yvonne lag zwischen ihr und Anne. Eine ungünstige Situation, wenn die Trösterin, die Yvonne erst tröstete, nun selbst Trost bedurfte.

„Anne, Du hast Schuldgefühle... weil Du an das 4. Gebot denkst. Nein. Das Gebot brichst Du ja nicht. Du ehrst sie ja beide. Das ist ja das Problem, dass Du sie so liebst. Und dadurch immer wieder damit in Berührung kommst, dass Du für sie ein Junge bist, oder ein Mann. Damit wird Deine Selbstfindung immer wieder zurückgesetzt. Du fängst immer wieder von vorne an, wenn Deine Mutter dich Matthias nennt. Es ist, als ob Du alles was Du Dir mental an innerer Harmonie erarbeitet hast, mit einem Handstreich wieder in sich zusammenfällt. Du verlässt das Haus Deiner Eltern und musst immer wieder von vorne anfangen. Es ist wie eine Gehirnwäsche, die Du bekommst. Der Fehler, der zu Deinem Problem geführt hatte, während Deiner Kindheit, die Programmierung auf das männliche, wird wieder vorgenommen. Die Liebe, die wir brauchen kommt in dieser kranken Gesellschaft nicht mehr vor, nicht in der transphoben Gesellschaft, und nicht in der Elternliebe, die eine Art von Liebe ist, in der Anne zu lieben nicht vorgesehen ist. Eher wird darüber debattiert, was sie falsch gemacht haben, in ihrer Erziehung, dass Du 'so geworden bist', und ja, sie 'meinen es ja nur gut'. Nein - sie meinen es nicht gut, nur das wissen sie nicht. Das fatale ist, dass Du ihnen das niemals verstehen machen kannst. Desshalb bleibt nur, sie über die Distanz zu lieben Anne. Aber nicht zu erwarten, dass sie Dich verstehen. Das können sie nicht.“ Mirabells Hand war nun nass von Anne's Tränen, die, wie zu erwarten, aus ihren Auge kullerten.
„Und das 4. Gebot, Anne, das befolgst du ja. Außerdem darfst Du das nicht so streng sehen mit der Kirche. Die Kirche akzeptiert Dich auch nicht in ihren Grundansichten. Auch wenn einzelne Pfarrer liberal eingestellt sind, wird im höchsten Haus der katholischen Kirche, dem Vatikan, und schließlich dem Pabst, sowie auch bei den evangelischen Landesbischöfen über Transsexualität sehr menschenrechtsverletzend formuliert. Du bist alles für sie, aber keine Frau. Eher etwas, was krank ist, oder unser Mitleid bedarf. Du musst immer das Patriarchat im Auge behalten, wenn Du Dir religiöse Regeln ansiehst. Schau, die Frau ist in der katholischen Kirche nichts gleichwertiges zum Mann. Also bedeutet das 4. Gebot nichts anderes, als dass dem Mann sehr viel Macht über die Kinder zugesprochen wird, dass diese in ehren sollen, auch wenn er ihnen weh tut. Das ist nicht differenziert genug. Es darf keinen Freibrief geben, die ein Vater gegenüber seinen Kindern und seiner Ehefrau hat. Das ist Macht. Keine Liebe. Sieh nicht die Gebote der Kirche als Deine Regeln, sondern Deine Kraft. Schwindet sie, läuft etwas falsch. Und wenn Du hier mir in meine Hand weinst, läuft etwas richtig falsch. Und die Ursache dafür , sind Deine Eltern. Sie können Deine Tränen nicht trocknen, ich kann es, weil Du weißt, dass ich Dich verstehe. Stell Dir vor, alle würden so denken, wie Deine Eltern. Du hättest Dich schon aus dem Fenster gestürzt. Du musst an denen festhalten, die Dich verstehen Anne, Du brauchst keine Schuldgefühle haben, Du liebst sie ja beide. Nu rmusst Du dich körperlich von ihnen distanzieren. Sonst töten sie Dich. Du bist nicht mehr Anne. Und das ist genauso, als würdest Du springen. Du bist jetzt bei mir, hörst Du? Spürst du meine Hand? Ich bin Deine Heilerin, Deine Schamanin -und streichle Dir nun alle Selbstzweifel weg.“ Anne wurde nun ruhige. Fasste wieder Mut. Atmete gleichmässiger. Ihr Mund lächelte etwas, das Lächeln wurde aber immer noch ab und an durch ein schmerzverzerrtes Gesicht unterbrochen.

„Ja Mirabell, entschuldige, dass ich wieder so schwach geworden bin, ich dachte, ich schaffe es jetzt, aber es kam wieder hoch. Weißt Du, es kam hoch, als ich Yvonne streichelte, ich hab Yvonne die ganze Nacht gestreichelt und sie ist eingeschlafen. Dabei hab ich mir vorgestellt, dass mich meine Mutter und Vater so streicheln würden, mit ihrem Verstehen, und gespürt, dass das nicht so ist. Dann kam alles wieder in mir hoch, ich konnte es nicht aufhalten, es ist dann herausgebrochen. Erst wollte ich es noch wegschieben, bekam leichten Schüttelfrost, fror, obwohl es hier unter der Bettdecke mit uns so kuschelig ist, ich bin, als ich an die Disharmonie dachte, die ich habe mit meinen Eltern, erfroren, als würde ich nackt im Winter auf der Straße stehen. Du hast mich jetzt wieder reingeholt, ins Haus, mir eine Decke umgelegt und mich an den Ofen gesetzt. Liebe wärmt. Und Menschen können ohne Wärme nicht leben.“ Anne legte nun die Hand, die sie an Yvonne's Rücken hatte, mit der sie ihre Wirbelsäule entlang streichelte über Mirabell, strich ihr über den Kopf, den Hals herunter, streichelte ihren Rücken, Mirabell wußte in dem Moment, dass sie es geschafft hatte. Jetzt war sie wieder mutig, nahm am Leben teil, gestaltete es, gewann Selbstbewusstsein, spürte auch die Macht, die sie hatte, andere zu trösten. Mich.

„Ja Anne, und Deine Eltern, sie haben ja auch Yin und Yang in sich, und sie verleugnen jeweils eine Seite, denn wenn sie dies nicht tun würden, könnten sie Dich verstehen. Es ist auch eine Verleugnung ihrer Zweigeschlechtlichkeit, die ständig den Namen Matthias Dir gegenüber ausspricht. Sie können es für sich selbst nicht, daher können sie es Dir auch nicht geben. Du bist sehr sensibel - Sensibilität und Sinnlichkeit gehören zusammen, Deine Tränen sind der Beweis dafür, dass Du auch sehr sinnlich bist. Wenn Du jetzt als Gegenreaktion Deine Eltern hassen würdest, würdest Du Deine Sensibilität damit bekämpfen, Du würdest zwar nicht mehr weinen, aber Du würdest Deine Sinnlichkeit verlieren, asexuell werden. Deine Ersatzbefriedigung wäre es dann vielleicht, Tiere im Wald zu schießen, oder Menschen mit Worten zu verletzen, die Du wie Giftpfeile abfeuerst. Du würdest verbittert werden. Das kann kein Preis sein, den Du zu zahlen bereit bist. Es wäre Deine Zerstörung, eine andere Form wie aus dem Fenster springen. Du lebst zwar noch, aber Du bist nicht mehr die Anne, die mir gerade in die Hand geweint hat. Eine Anne die genauso zerbrechlich ist, wie begehrenswert, so sinnlich, wie verletzbar, so bezaubernd, wie einzigartig. Du wirst nun schlafen mein Schatz. Verinnerliche jetzt, dass Du auf Anerkennung von Menschen verzichten kannst, die Dich nicht verstehen. Du brauchst deren Anerkennung nicht. Es genügt, wenn Menschen Dir diese geben, die Dich verstehen, Du musst bei ihnen nicht um Anerkennung kämpfen. Sobald Du um Anerkennung kämpfen musst, werden Erwartungen gefordert, die Du nicht harmonisch zu erfüllen vermagst. Daran erkennst Du sofort, dass etwas falsch läuft, dass Dich Menschen verbiegen wollen. Und damit zerstören. Du bist dann nur noch ein Abbild dessen Erwartungen, nicht mehr Du selbst. Jetzt bist du selbst, während ich Deine Wangen streichle, weil Du weißt, dass Du Dich nicht verändern musst für mich. Du kannst einfach die Anne sein. Das ist das Wesentliche. Darum musst Du nicht kämpfen. Kampf bedeutet immer Überwindung. Liebe kämpft nicht. Liebe ist einfach da. Anerkennung kann nicht konstruiert werden. Sie entsteht automatisch, wenn Menschen dich authentisch erleben. Wenn sie nicht entsteht, sind es nicht Deine Menschen, die Dich verstehen. Du brauchst Dich dann mit Ihnen nicht um Deine Person zu unterhalten. Es ist sinnlos.“ Mirabell strich nun Anne am Hals entlang und massierte ihren Rücken, entlang der Wirbelsäule, das tat ihr sichtbar gut, zusammen mit ihren Worten, die neben Sinn auch allein durch ihre Stimme Halt gabe, dass Mirabell da war, ganz nah war, brachte sie zur Ruhe.

„Ja Mira, Du bist lieb. Ich hab Dich lieb“, flüsterte sie schon ganz schlaftrunken.

„Ja mein Schatz, das bin ich und Du bist meine Prinzessin. Meine Liebste, mein Alles.“ Anne schlief, ihr Atem war gleichmässig, sie war völlig erschöpft. Yvonne schlief teif und fest, inchts konnte sie aus dem Schlaf reissen, schön, Mirabell freute sich. Dann fiel ihr die Stationsschwester ein, 7 Uhr kommt sie mit ihrem Teewagen und dem Frühstück. Mirabell krabbelte ganz langsam aus dem Bett, vorsichtig, dass die beiden nicht wach wurden, ein hübsches Mädchen huschte nun durch das Zimmer, das noch immer vom Mondlicht beschienen war, aber der Morgen war schon zu spüren, es würde bald hell werden. Sie huschte an ihren Nachttisch, holte ein Zettelchen und Stift:
„Liebe Stationsschwester, bitte stell den Teewagen heute morgen vor die Tür, wir schlafen heute länger, es war eine verheulte Nacht. Wir nehmen uns das Frühstück etwas später. LG Mirabell“
Dann huschte sie an die Zimmertür, es war schon gleich 7 Uhr, sie müsste jeden Moment auftauchen. Schnell das Zettelchen außen an die Tür geklebt, und die Türe wieder leise geschlossen, dann sehnsuchtsvoll auf Yvonnes Bett zugesteuert, dass für sie heute der schönste Platz der Welt war, beide schlafen zu sehen und sich dazuzulegen die Erfüllung. Das Symbol der Liebe und Einheit. Des Zusammenhalts und der Verbundenheit. An den Ratschlägen von Mirabell werden sich manche Mütter und Väter nicht ergötzen können, doch sind die schlafenden Augen meiner Prinzessin nicht Beweis genug, für die Richtigkeit ihres Handelns? Ihr Beladenen da draußen, von Pein Gezeichneten, distanziert euch, und liebt aus der Distanz. Die meiste Gewalt entsteht zwischen Partnerschaften, Liebschaften, Ehen, Verwandten und Freunden. Immer dann wird die Polarisation besonders groß und entlädt sich in purer Gewalt, wenn eine Trennung durch vermeintliche Verbundenheit verhindert wird. Eine gesunde Trennung ist aber wichtig. Wenn sich das Bauch-Chakra wohlfühlt, und Dich wärmt, bist Du in Harmonie, alles muss dieser untergeordnet werden, auch patriarchaler Elterngehorsam. Der würde Dich zum Objekt machen, zu einer Anne, die ausgestellt wäre, wie etwas fremdes, etwas, was man erwähnen muss, oder über sie reden muss, sich echauffieren, tratschen, tuscheln, sich schämen, geheimhalten, oder sich daran ergötzen, vielleicht sogar sexuell, aber du wärst nicht die Anne, die Du bist, Du bist ein Mädchen, das in meine Hand weinen darf, kein Objekt. Aus Dir irgendetwas anderes machen zu wollen, als Anne, ist Gewalt.

Bild

"Bouguereau's Atelier at Académie Julian, Paris"
1891
Jefferson David Chalfant
Bildlizenz: Public Domain



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