Dinge immer wieder "umschreiben" - Nein - lass sie so !

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Freeyourgender
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Dinge immer wieder "umschreiben" - Nein - lass sie so !

Beitrag von Freeyourgender » 19 Feb 2018, 11:23

Einer Autorin schrieb ich folgende Zeilen, sie ging mit dem Gedanken schwanger,
ein Werk, dass sie mit 25 Jahren geschrieben hatte, jetzt umzuschreiben, weil sie jetzt mit 45 Jahren anders darüber denkt:


Liebe Ubalda,

ich sehe jetzt in Deiner Situation kein Problem - wirklich nicht.

Es entsteht ja erst dadurch, indem Du versuchst,
Deine persönliche Veränderung, Reifung, oder wie Du es immer nennen
möchtest, in das bereits Geschriebene einfließen zu lassen.

Dies muss aber gar nicht sein.

Warum ist es notwendig, dass das Geschriebene das abbildet,
was Du heute fühlst und denkst?

Die alte Version (ich-Form, rotzfrech usw) ist ein Snapshot, eine Fotografie, ein Abbild von dem, was vor 20 Jahren für Dich wichtig war,
und da war es eben diese Art der ich-Erzählung.
Diese ältere Version von Dir ist also ein wichtiges Dokument einer Station deiner Veränderung, deiner persönlichen "Mutation".

Dein Problem erwächst auch aus der Sichtweise und Bewertung, von dem was früher war, die Du etwas abwertest,
das ist in Deinen Zeilen hier sichtbar:

"Beim ersten Mal hab ich das ganze aus der Sicht einer 25jährigen geschrieben, rotzfrech und überhaupt.
Mittlerweile bin ich "erwachsen" geworden und will das auch so rüberbringen. Mit mehr Tiefe und so."

Übersetzt: Du möchtest jetzt eben nicht mehr rotzfrech schreiben, und mit mehr Tiefe. Frech und wenig Tiefe hat für Dich also weniger Wert.
Aber das muss überhaupt nicht so sein, das siehst Du nur so, das ist Dein eigenes Wertungsweltbild. Frech kann für andere schöner sein als distanziert
und seriös. Zuviel Tiefe kann für viele schwermütig wirken, vielleicht mögen viele gerade das, um sich ohne große Anstrengung mitnehmen zu lassen,
leichte Unterhaltung vorziehen, als Tiefenpsychologie.

Du siehst, Eigenschaften sind nicht per se negativ oder positiv, es kommt nur darauf an, wie Du sie für Dich jetzt einschätzt, bewertest.

Auch wenn Dir die alte Version nicht mehr gefällt, würde ich sie akzeptieren und so als "Fotografie der Vergangenheit Deiner Person" veröffentlichen.
Du verbrennst ja auch keine Bilder von Dir, die Dir heute nicht mehr gefallen. Es sind Dokumente und können für andere sehr interessant sein.

Tip:
Nimm das Geschriebene so wie es ist und bringe es heraus, es hat seine Berechtigung.
Schreibe eine neue Geschichte, in der Du dann als reifere Person das einbringst, was Dir jetzt wichtig ist (nicht frech, Tiefe)
Leser_innen können so Deine persönliche Veränderung sehen und daran teilhaben, sie haben durch das erste Buch eine Beziehung bereits
zu Dir aufgebaut und finden es sicher spannend, wie Du jetzt bist.
Ich würde sogar an verschiedenen Stellen im neuen Buch auf die alte Geschichte rekurieren, reflektieren, vielleicht auch kritiisch.
Du könntest im neuen Buch innerhalb einer Story mitteilen, dass Dir das alte Geschriebene gar nicht mehr gefällt, vielleicht in einer
gespielten Handlung bei einem Besuch einer Psychologin, die Dir über eine Schreibblockade helfen soll (fiktive Geschichte),
Leser_innen werden dann Teilhaber Deiner Gedanken, die Du hier im Thread geäußert hast, und tauchen noch mehr in Deine Gefühlswelt ein,
als wenn Du das Vergangene einfach auslöscht und gegen das Aktuelle ersetzen würdest.

Im Kern: Nimm Leser_innen mit, und dazu gehört auch, das Vergangene zu zeigen und nicht zu verstecken.

Metapher:
Ich bekomme oft Dinge geschenkt, hole Kies aus Gärten, Pflanzen aus Gärten die ich ausbuddle, oder halbe Zimmereinrichtungen,
die Menschen wollen Dinge und Strukturen einfach loshaben, verändern.
Aber weder die Gärten, die umgestaltet werden, waren vorher hässlich, noch das Zimmer das nun ausgeräumt wurde.
Die Sachen, die ich mitnehme, sind für mich schön, für die anderen nicht mehr.
Deine alte Geschichte ist für viele schön. Entrümple sie also nicht, nur weil sie Dir "heute" nicht mehr gefällt.



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