CXLVII - Geschlecht selbst bestimmt !

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JasminRheinhessen
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CXLVII - Geschlecht selbst bestimmt !

Beitrag von JasminRheinhessen » 12 Nov 2016, 11:13

Meine Überschrift dieses Artikels "Geschlecht Selbst Bestimmt" nimmt Stellung zu einem Ärgernis im Verstehen
einiger [transsexueller] Menschen über das Ziel dieser gleichnamigen Kampagne,
die Gegenstand der "Stuttgarter Erklärung" ist und um einen Missstand im Diskurs innerhalb der [Trans]Community.

Dieser Artikel ist für Menschen geschrieben, die nicht sehr tief im Diskurs sind,
um ihnen einen Einblick zu geben, welche internen Kommunikationsprobleme in der [Trans]Community existieren.

Er versucht daher, möglichst in der (genitalistischen) Sprache zu verbleiben, um ein Verstehen möglich zu machen.
dieser Kompromiss ist dem Wunsch geschuldet, den Diskurs in die Breite zu bekommen,
auch für Menschen verständlich zu machen, die mit Begriffen wie Transidentität, F64.0 usw. nichts anfangen können,
und auch keine Motivation darin sehen, sich näher mit Begrifflichkeiten zu beschäftigen,
aber dennoch einen (schnellen) Einblick in die Problemdiskussion gewinnen möchten.

Dieser Artikel ist ein Snapshot der aktuellen Situation im Definitionsdiskurs und zeigt die Grundangst einiger
transsexueller Menschen vor der "Genderisierung" auf.

Diese Diskussion die hier seit einiger Zeit - sicher auch schon vor 2011, als der Operationszwang im Transsexuellengesetz für Transfrauen gekippt wurde, geführt wird, rankt um das Verständnis, was denn nun unter einem transsexuellen Menschen zu verstehen sei.

Hier gibt es Klärungsbedarf.

Eigentlich - ist dieser Begriff genau definiert.
Wenn sie einen Arzt fragen, wird er sagen: "Ein Mensch, der sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlt"
Eigentlich. In Wirklichkeit und im Grunde aber eigentlich auch nicht, denn diese Defintion ist falsch.
Es müsste heißen:
"Ein Mensch, der ein Geschlecht besitzt, dass nicht seinem Aussehen entspricht."

Es gibt nun eine Gruppe transsexueller Menschen, die ein ureigene Definition haben, was unter Transsexualität zu verstehen ist,
sie sehen in diesem Begriff den maximalen Nutzen für sich, jemanden zu sagen: Ich bin eine Frau.

Der Streit um diese Deutungshoheit des Begriffes geht mit einer Angst einher,
dass Menschen, denen Du sagst, dass Du transsexuell bist, Dich falsch einschätzen. Verständlich.

Es geht immer um das Verstehen werden, immer.
Das lernst Du bereist als Kleinkind, wenn Du anfängst, die ersten Worte und Sätze zu Deiner Mutter zu sprechen.
Schreist Du, weinst Du, lachst Du, und es kommt keine oder die falsche Reaktion, fühlst Du Ohnmacht.
Ohnmacht, dich verständlich zu machen.
Unsere Identität, unsere Person, unsere Seele braucht die Reflektion von aussen, dass wir spüren, verstanden zu werden,
sonst fühlen wir uns nicht nur nicht existent gegenüber dem Anderen, sondern sogar falsch verstanden,
wir sind also nicht nur nicht da, sondern wir sind sogar etwas anderes.

Was ist schlimmer, ein lieber Mensch zu sein, der nicht existent ist, oder der nicht lieb ist ?
Ein lieber Mensch zu sein, den andere Menschen nicht lieb finden ?
Viele werden hier lieber sagen: Dann will ich lieber gar nicht existieren, bevor ich für andere nicht lieb bin.

Diese 2. Variante der Lösung heisst: Stealth leben. Unerkannt. Nicht als "transsexuell" erkannt werden.
Verständlich. Die Nachteile dieser Variante: Was es nicht gibt, kann keinen Diskurs führen,
keine Evolution in der Gesellschaft bewirken.

Warum fühlen sich viele Transsexuelle unter dem Begriff "transsexuell" immer unwohler ?
Fühlen sich auch innerhalb der eigenen Community verraten ?

Der weitere Artikel beleuchtet die Sicht einer transsexuellen Frau, in der jetzigen Diskurslandschaft,
die genau weiß, dass sie eine Frau ist, und auch weiß, dass sie sich das nicht ausgesucht hat.
Diese Frau fühlt sich im Diskurs nirgendwo mehr vertreten,
wie ein schreiendes Kind, das (Verständnis)Hunger hat, aber die Mutter nicht reagiert.

Anmerken möchte ich an dieser Stelle, dass ich nicht zu dieser Denk-Gruppe transsexueller Frauen gehöre,
aber glaube sie zu verstehen und desshalb meine darlegen zu können, über ihren Kampf zu berichten.

Der Artikel geht hier der Einfachheit für die Formulierung von Transfrauen aus,
und gilt gleichermaßen für Transmänner viceversa.

Diese Gruppe transsexueller Frauen sehen kein Problem im binären Geschlechtermodus,
da sie sich eindeutig zum Geschlecht "Frau" zuordnen.
Damit fühlen sie sich bereits der Falschdarstellung (Genderisierung) durch den Begriff Transgender verraten.
Sie fühlen sich nicht nur als Frau bezüglich der Geschlechterrolle, sondern als Frau,
die mit unpassenden Körpermerkmalen geboren wurde, dass ist ein immanenter Unterschied.
Der Begriff Transgender verhandelt diesen Punkt nicht.

Für diese Gruppe Frauen bilden daher alle Queer-Bewegungen, die Geschlechter dekonstruieren,
wenn auch nur innerhalb der Geschlechterrolle, ebenfalls eine Gefahr, mindestens aber keine Lösung.

Auch Transident ist für diese Gruppe eine ungenügende Beschreibung, da hier auch wieder nur
auf die kognitive Ebene, nicht aber auf die pränatale Prägung (angeborener Aspekt) verwiesen wird.

Selbst mit Kampagnen wie die "Stuttgarter Erklärung", mit dem Motto: Geschlecht Selbst Bestimmt",
eine Bemühung, die Macht der Geschlechterdeutungshoheit auf die betreffende Person selbst zu übertragen,
wird diese Gruppe nicht glücklich:
Sie verstehen diese Liberalisierung, die dem humanistischem Menschenrechtsgedanken geschuldet ist,
wiederum als queer-affin:
Sie sagen: Es klinge so, als ob jeder sich das Geschlecht selbst aussuchen könne,
es sei aber so, dass es mit in die Wiege gelegt wird.

Anmerkung: Natürlich wird es das, und desshalb haben wir ja auch ein Bewusstsein, welches Geschlecht wir haben.
Wenn wir dieses Bewusstsein haben, müssen wir auch in der Lage sein, dementsprechen zu schreien.
Wie das kleine Kind nach der Mutter. Die Kampagne kämpft also dafür, dass das Kind schreien darf,
mitteilen darf, was es will, was es für ein Geschlecht ist.
Und dass dieser Schrei auch Wirkung hat, und nicht in Frage gestellt werden darf.
Dies ist in der aktuellen Gesetzeslage nicht möglich. Gutachter und Richter entscheiden später nach Einwand
der Person (des schreienden Kindes), ob die Entscheiung des Artzes, der Hebamme eine richtige war.

Kommen wir zurück zu der bestimmten transsexuellen Gruppe, die sich durch diese Kampagne nicht vertreten fühlt,
weil diese Kamagne auch bereits wieder in Ihrem Verständnis eine queere Dekonstruktionsmöglichkeit von Geschlechtern
ermöglicht:
Sie sehen in diesem Selbstverständnis der Selbstbestimmung die Gefahr, jeder könne nun transsexuell sein,
wenn er es denn möchte, und ihr Geschlecht Frau, dass sie ja sind, würde eine inflationäre Wertigkeit erfahren.
Jeder kann Frau sein, also was hat diese Aussage dann noch für eine Tragweite ?
Wie kann ich erwarten, dass mich jemand ernst nimmt, wenn doch jeder Frau "spielen" kann ?
Nicht einmal mehr eine Operation nötig ist, keine Hormontherapie, und ja - das Gutachterverfahren soll nun auch
abgeschafft werden, eine völlige Willkür entsteht.
Die Karte "Frau", untermauert mit dem Begriff "Transsexualität", wäre für diese Gruppe dann kein Trumpf mehr,
nichts mehr wert, um sich auszudrücken.
Zu sagen "ich bin eine Frau", verpufft, die Karte Frau auszuspielen, sinnlos geworden.

Diese Gruppe kämpft um ihr Geschlecht Frau, nur an der falschen Front.

Sie reagiert auf diese Diskurs-Missstände falsch.

Sie bekämpft die Falschen.

Sie unterstützt nicht die Kampagnen wie "Geschlecht Selbst Bestimmt", dass die Deutungshoheit des Geschlechtes
in die Person legt, die ein Geschlecht darstellt, sie bekämpft Genderisierung, sie bekämpft Queer,
alles was nicht binär im Frau/Mann-Modus denkt und sich transsexuell nennen möchte.
Transgender und Queer sind aber Teilsiege.
Sie lösen ersteinmal Klischees auf und nehmen den Druck, "zu entsprechen".
Es ist wichtig, dass wir keine Abbilder sein müssen, die sich erst dann "Frau" nennen dürfen,
wenn wir diesem Abbild entsprechen.
Das Patriarchat legt hier hohe Hürden vor, die bereits Simone de Beauvoir 1949 sinngemäß formuliert hat:
"Du wirst nicht als Frau geboren, sondern Du wirst zu einer Frau gemacht".
Diese Feststellung in ihrem Buch "Das andere Geschlecht" ist ihre verzweifelte Analyse des Frauseins in Frankreich,
dass sich nicht einmal durch die Einführung des Wahlrechts 1944 aus der Unterdrückung befreien konnte.

Ja - Queer und Genderisierung helfen, Frau sein zu können, zu sagen: ich bin eine Frau.
Queer und Genderisierung sind aber keine Defintion.
Darauf hinzuweisen genügt, sie zu bekämpfen ist aber kontraproduktiv.
Einer Transgenderperson zu sagen, er wäre ein Mann, obwohl sie sagt, sie ist eine Frau, führt den Diskurs den Gegnern zu,
den Gegnern, die diese Transgenderperson auch hat.

Es geht darum zu erkennen, wer unsere Verbündeten sind, wir führen eine Bürgerkrieg und haben einen lachenden Dritten.
Divide et impera funktionert auch in der LGBTTIQ-Community.
Denn mit den gleichen Argumenten, wie unsere Frau in meinem Beispiel die Transgenderperson als Mann erklärt,
wird sie am Eingang der Lesbendisko abgewiesen: "Nicht für Transseuelle", wenn das Passing nicht stimmt.

Meine Beispielfrau macht den Fehler, dass sie Genitalismus unterstützt, da hier der binäre Gedanke fundamentiert wurde:
Penis ist Mann, Vagina/Vulva ist Frau. Hier sieht sie eine Definitionstrumpfkarte für sich.
Daher wird sie zur Verbündeten derjenigen genitalistisch denkenden Hebamme,
die sie einst dem falschen Geschlecht zugewiesen hat.

Auch unterstützt sie die Pathologisierung durch psychologische Gutachter,
die mit F-Code-Defintionen, sie zwar nicht zur Frau machen, aber sie vor denjenigen per "Sexologen"-Definition schützen,
die nach ihrer Meinung keine Frauen sind.

Aber all diese Feinde die sie bekämpft, kämpfen gegen das an, was sie in ihr Dilemma gebracht hat, überhaupt kämpfen zu müssen:
Die Falschdarstellung des Geschlechtes Frau in der Politik und damit Gesetzgebung.
Diese Falschdarstellung zieht sich durch alle Instanzen, bis zur Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Frauen werden genderisiert und als Männer dargestellt, die "lieber eine Frau sein möchten".
Der Wunsch aber, ist eine Folge des Sein. Auf das Sein aber, wird im politischen Diskurs nicht eingegangen.
Anstatt nun sich mit Kämpferinnen aller Denkrichtungen zu verbünden, sucht sie Halt im Gegner,
um sich vor, ihrer Meinung nach einer noch ungenaueren (inflationären)Defintion Frau, zu schützen.

Die größte Herausforderung in den nächsten Jahren, unter der neuen Falschdarstellung rechter Politik,
alle Kräfte zu bündeln.
Wir sollten uns darauf besinnen, was wir gemeinsam haben, wir damit ist LGBTTIQ gemeint,
nicht darauf, was uns trennt.
Gemeinsam haben wir, dass wir verstanden werden, wenn wir schreien,
das ist doch schon ein ausreichender Grund zusammenzuhalten.

Ja - wir haben sicher Definitionsvielfalten,
denn es gibt auch das 4-blättrige Kleeblatt,
und wir sollten alle zusammenhalten, dass es dazugehören darf.
"Gemeinsam für Vielfalt", sollte unser Ruf sein.
Gegen Fremdbestimmung und Falschdarstellungen.

"Nur der verdient die Gunst der Frauen,
der kräftig sie zu schätzen weiss"
Johann Wolfgang von Goethe



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