CXLIII - Angst vor Identitätsverlust

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JasminRheinhessen
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CXLIII - Angst vor Identitätsverlust

Beitrag von JasminRheinhessen » 06 Nov 2016, 06:36

Ein Ausflug in Deine Jugend, Kindheit:

Jeder kennt Streitgespräche,
von Neuen gegenüber den "Alten",
jeder hat das in seiner Jugend / Kindheit sicher schon erlebt:

Du bist jung, Dein Meinungsgegner ist "alt und erfahren",
er hat dadurch schon allein durch sein "Alter" recht (meint er).
Du kommst nun mit einer neuen Idee,
trägst sie vor und er müsste nun zugeben,
das sie es Wert wäre sie auszuprobieren,
das alte System könnte man dadurch extrem verbessern,
das alte System könnte man durch die neue Idee verwerfen,
das alte System würde dann überholt sein, da es mangelhaft erscheinen
müsste, würde man die Idee ausprobieren, würde man sehen,
wie sich das neue System (Deine Idee) behauptet.

Was passiert nun oft in dieser Situation ?
Du hörst plötzlich von dem "Alten" sagen:
"Das geht so nicht !" und weil er kein Gegenargument hat,
warum er das Neue nicht ausprobieren möchte sagt er:
"Das haben wir immer schon so gemacht !"

Kommt Dir das nicht bekannt vor ?

Der "Alte" blockt Dich ab, verweist auf seine Erfahrung,
und diese müsse nicht geprüft (überprüft, revolutioniert) werden.

Er unterdrückt Dich, denn würdest Du dich mit Deiner Idee bewähren,
müsste er zugestehen, dass er nicht alwissend ist.
Er ist stolz, möchte zeigen, dass er in der Hirarchie über Dir steht,
damit die "Rangfolge" gewahrt bleibt, blockiert er alle "Angriffe"
auf seine "Wissenshoheit". Seine Idee ist die Beste,
und Du musst dieser folgen, dich dieser Idee unterwerfen.
Nach ihr handeln.

Er hat Angst, mit Dir gleichwertig sein zu müssen,
denn dies würde bedeuten es zuzulassen, seine Identität zu hinterfragen,
er müsste seine Identität eventuell dann neu definieren, das möchte er nicht, dies stellt eine Gefahr für ihn dar.
Denn wenn er seine Version seiner Idee aufgeben müsste,
weil Deine Idee besser ist, müsste er sich "neu erfinden".
Das würde (s)einen Autoritätsverlust bedeuten.
Du wärst dann gleichwertig, er müsste auch sein Hirarchiedenken aufgeben.
Seine Idee ohne Alternative gewährleistet, dass Du seiner Idee folgen musst, und nicht er deiner.

Sicher kommt Dir auch bekannt vor,
dass es Konstrukte gibt, die Wissen nicht für alle verfügbar machen wollen.
Dieses Blockieren des Wissens für Andere,
hat als Intention und Ursache,
die Angst vor Verlust der Identität, die Angst vor Machtverlust,
vor Abgabe der "Macht des Wissens" an andere,
die unterdrückt (dumm gehalten) werden sollen.

Wissen war früher nicht für alle Menschen zugänglich,
besonders Arme konnten daran nicht partizipieren.
Heute ist das immer noch nicht gewährleistet,
durch das Internet wird dieser Missstand zunehmend verbessert.
Im Vatikan gibt es heute noch Bereiche in der Bibliothek,
die nur ausserwählten Personen zugänglich gemacht werden,
und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.


Ausflug in die Geschichte:

Wenn wir die im Vorwort gemachte Konstellation nach oben scalieren,
sehen wird das gleiche Prinzip in anderen Bereichen.
Religionskriege basieren auf einem ähnlichen Prinzip:
In der Reformation wurde die bis dahin gültige "Identitätsform"
des christlichen Glaubens "upgedatet".
Die Folgen sind uns bekannt. Es gab eine Abwehrhaltung,
die bis heute andauert.
Argumentiert wurde mit "Traditionen", ein anderes Wort für:
"Das haben wir immer so gemacht".
Im Dreißigjährigen Krieg hatte der Kampf zwischen Katholiken und Evangelen einen wesentlichen Anteil,
neben anderen weltlich-politischen Machtkämpfen. Ein trauriger Höhepunkt dieses Krieges war die Zerstörung des
evangelischen Magdeburg 1631 durch Tilly, ein Angehöriger der "Katholischen Liga", Stichwort " Magdeburger Hochzeit", "magdeburgisieren". Papst Urban VIII gab in einem Schreiben sein Wohlwollen und seine Freude zum Ausdruck,
dieses "Ketzernest" zerstört zu sehen. Über 20000 Menschen fanden den Tod.

Zwei Jahre später, musste Galilei seine Entdeckung und Forschungsergebnisse,
dass die Erde "rund" ist und sich dreht und keine flache Scheibe ist, vor einem Inquisitionsgericht in Rom leugnen.
Er entkam so dem Scheiterhaufen und wurde zu lebenslangem Hausarrest verurteilt.
Dieser kurze Einblick in die Geschichte steht für zahlreiche weitere Beispiele, bei der es darum geht,
"Traditionen" gegen Neues verteidigen zu wollen, auch mit Gewalt.

Das Ausüben von Gewalt zeigt die immanente Bedeutung der Identität für denjenigen Menschen auf,
der sich von "Neuem" angegriffen fühlt.
Das "Neue" ersetzt das Identitätsgebäude des "Alten".
Anstatt das alte Gebäude zu renovieren, werden Mauern gebaut
und Geschütze aufgefahren.

Ein "Renovieren des Identitätsgebäudes" würde vorraussetzen,
andere und deren neue Ideen als gleichwertig und gleich autoritär anzusehen.
Das ist nicht gewollt. Hirarchiedenken, Angst vor Machtverlust verhindert Neues, verhindert Evolution.
Die eigene Identität müsste verworfen und eine neue entwickelt werden.
Evolution mit Gewalt, die sich gegen das "Mauern" der "Traditionen" richtet nennen wir Revolution.
Eine begonnene Revolution zu bekämpfen nennen wir "reaktionär".


Blick in die Gegenwart, Blick auf den Genderdiskurs:

Reaktionäre Kräfte gibt es in der Gegenwart im Bereich
der Erweiterung (Reformierung) von geschlechtlichen Identitäten
und der sexuellen Vielfalt zu genüge.
Es sind diejenigen die Gegenkräfte, die Angst vor dem Verlust ihrer Identität haben,
sie können Neues nicht gleichwertig sehen.
Würden sie dies akzeptieren, entsteht der gefürchtete Identitätsverlust.

Wissen wird nicht weitergegeben:
Über Intersexualität wird die Gesellschaft nicht in dem Maße aufgeklärt,
wie es nötig wäre, diese nicht mehr als etwas zu sehen,
was versteckt werden muss.
Bildungspläne für Schulen werden bekämpft,
die über Sachverhalte ausserhalb der Heteronormativität berichten.

Gesetzesnovellen werden verhindert, mit Verweis auf die Tradition:
Die eingetragene Lebenspartnerschaft (ELP) ist als separierendes Konstrukt wichtig für diejenigen,
die die Ehe gegen gleichgeschlechtliche Paare verteidigen wollen.
Das Argument: "Jegliche Relativierungsversuche" der "Ehe" sollen verhindert werden.
(>CSU Parteitag 5. November 2016, neues Grundsatzprogramm: Die Ordnung)
Relativierungsversuche heißt übersetzt:
Verlust der Identität, dass die Ehe nur für verschiedengeschlechtliche Paare gelten darf.
Identitätsedefinition der Reformgegner: Hetero und Ehe gehören zusammen. (>Heteronormativität)
Die CSU ist Teil der Bundesregierung und befindet sich in Regierungsverantwortung
zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels.

Beide Menschen im Letzten Beispiel meines Artikels
verteidigen ihre Identität, mit dem Mittel der Nichtakzeptanz,
eine andere Form des Beispieles der Abwehrhaltung in meinem Vorwort:
("Das haben wir immer so gemacht"):

Die Frau, die bei einer "Demo für alle"-Demonstration
(Wiesbaden, 30. Oktober 2016) ihr Schild mit dem Schriftzug
"Keine Gender-Indoktrination an den Schulen" hochhält.

Die genitaloperierte Frau, die die Frau neben sich dessahlb nicht als Frau akzeptiert,
weil sie sich nicht operieren möchte, weil sie sich mit ihrem männlichem Genital versöhnt hat.


Schlusswort:

Ein "Lehrmeister", der seinem Lehrling stoisch das Mitdenken verweigert,
und von ihm einfordert, genau das zu machen, was er vorgibt,
verhindert zwar die Evolution, gefährdet aber nicht das Leben des Lehrlings.
Ein Mensch, der durch Nichtakzeptanz seiner Identität beraubt wird,
erleidet seelischen Schmerz.
Seelischer Schmerz ist körperlicher Schmerz,
nicht umsonst ist seelische Folter, Mobbing strafbewehrt und
gehört zur Körperverletzung.
Menschen können diesen Druck oft nicht standhalten,
die hohe Suizidrate im LGBT-Bereich bestätigt diese Problematik.

Zum Nachdenken sollte führen,
dass Frauen, die keine Operation ihres männlichen Genitals benötigen,
Frauen mit Operation akzeptieren können,
oft aber nicht umgekehrt,
und zwar aus dem gleichen Grund,
warum es keine "Heterophobie" gibt.



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