von bodenlangen Röcken und Zylindern

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JasminRheinhessen
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von bodenlangen Röcken und Zylindern

Beitrag von JasminRheinhessen » 18 Aug 2018, 13:07

Dieser Buchauszug wurde in FYG einkopiert und bleibt aus Zeitgründen unformatiert


Die Anstandsregeln - die Normen, das, was normal ist, und wenn Du davon abweichst, fällst Du auf, musst Dich dafür erklären, Kleidung ist so eine Art Norm, in einer Sauna sitzen alle nackt, Juristen sind von Bauarbeitern nicht mehr zu unterscheiden, Ärzte nicht von Arbeitslosen, gesellschaftliche Klassen, Status lösen sich auf, daher liebe ich Nacktheit sehr, in Sauna oder im Sommer am Wasser draußen, da hier die Gesellschaft zu einem großen Teil ausgeblendet wird, und der Fokus wieder zurück auf das eigentliche, den Menschen fällt, ja, was er tut, was er sagt, wie er ist, nicht nur was er ist, oder wieviel Geld er für Kleidung ausgeben kann. Kleider machen Leute, nein - es werden nur Status und Stand proklamiert und produziert, die Leute dahinter werden maskiert, wer wirklich hinter einem Designeranzug steckt, oder hinter einem wunderschönen sehr teurem Kostüm oder Kleid ist eine ganz andere Frage, die Kleidung erzeugt keine Leute, sondern Schein, leuchtet wie eine Lampe, die das innere nicht preisgibt. Nacktheit ist ein marxistischer Ansatz, da dadurch Gleichheit entsteht, nicht zwischen den Geschlechtern, sondern wirtschaftliche, ökonomische Gleichheit, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wird durch Nacktheit verstärkt, die Polarisation zwischen weiblich und männlich sichtbarer gemacht. Wenn ich Frauen unterdrücken möchte, muss ich auch Sex in eine negative Konnotation bringen, da Sex und Frauen sehr stark verbunden sind, eine Einheit bilden, durch ihre ständige Anziehungskraft auf den Mann. Durch Kleidung kann die Anziehungskraft der Frau geschwächt werden, wenn sie diese Abschwächung durchbrechen möchte, fällt dies auf, dann heißt es, sie zieht sich frivol an. Die maximale Abschwächung und Abtötung der Anziehungskraft einer Frau wird bei der Vollverschleierung sichtbar. Kapitalismus und Patriarchat gehören zusammen, verbinden sich im Konservatismus und in der Religion. Stände und Kleidernormen sind Sprachelemente im Kapitalismus, die Arbeitermütze oder der Zylinder, das T-Shirt oder das Hemd mit Krawatte. Sie sind auch Sprachelemente des Patriarchats, die Hose für den Mann, der Rock für die Frau. Lenelotte von Bothmer sorgte für einen Eklat, als sie im April 1970 im Bundestag im Hosenanzug eine Rede hielt. Noch vor dem Ersten Weltkrieg war die Kleiderordnung für Frauen eindeutig, ein Rock, der am Boden schleifte. Alles andere machte sie zum Flittchen, zur Schlampe und kein Mann konnte sich mit ihr zeigen, ohne um seinen Ruf zu fürchten. Kleider sind Sprache des Patriarchats, um die Hierarchie in dieser Ideologie auszudrücken. Kapitalismus und Patriarchat bedienen sich also der gleichen Werkzeuge um ihr gemeinsames Ziel, Frauen zu unterdrücken, zu verfolgen. Die Kleiderordnung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Noch heute kann ein Mann keinen Rock tragen, ohne in Erklärungsnot zu geraten. Frauen haben sich zu einem Teil dieser Regeln entledigen können, das begann in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, und war ein langer kultureller Prozess. Das Patriarchat hält an der Kleiderordnung fest, denn sie wird gebraucht, um den Unterschied zwischen Machthaber und Unterdrückte auch bildlich zu unterstreichen. Mit in diese Kleidersprache wird der gesellschaftliche Stand hineingepackt, es ist ein Anzug, ja - wir sehen einen Mann, ist es ein teurer Anzug, ein Maßanzug? Ist es ein reicher Mann? Ja, die Schuhe sind teuer. Also ein reicher Mann. Der Kapitalismus braucht diese Abgrenzungen, um Erfolg zu etikettieren, wer also im kapitalistischen System so funktioniert, wie das System es erfordert, Effizienz vor Empathie, ökonomisches Ergebnis vor Humanismus, muss sich auch als systemtreu und kapitalistisch seriös und kompetent auszeichnen können, dies kann er durch Kleidung. Das ist wichtig. Eine Verwischung dieser Grenze macht den Erfolg nichtig, neutralisiert ihn. Stellt Arbeiter mit Managern gleich. Das wir Gleichheit in Büchern von Rosa Luxemburg, aber nicht in der Realität vorfinden, überrascht uns nicht, wir haben uns daran gewöhnt. Die tägliche Gehirnwäsche lässt uns nicht aufzucken, wenn wir uns dann tatsächlich irgendwann gut finden, einen BMW zu kaufen, für 20.000 Euro, obwohl es ein Gebrauchtwagen mit 2 Jahren TÜV für 1000 Euro genauso gut täte. Mit dem BMW können wir aber beim nächsten Treffen mit einer Frau als kompetent und erfolgreich wirken, dazu natürlich die Markenkleidung, auch auf der Unterhose muss ein Logo eingestickt sein. Die Aufhebung der Grenzen zwischen Mann und Frau muss immer bekämpft werden, das Patriarchat verlangt es. Die Abgrenzung der Reichen von den Armen muss immer aufrechterhalten werden, der Kapitalismus verlangt es. In beiden Ideologien haben die Männer die Macht. Nur wer sich nicht gehirnwaschen lässt, nicht jeden Tag suggestiver Werbung ausgesetzt ist, oder gar nicht dafür empfänglich ist, bleibt hier verschont. Eine Behinderung kann hier schützen, das Denkvermögen könnte eingeschränkt sein, vielleicht auch taubstumm, schon haben wir einen Menschen, der authentischer wirkt, ungefiltert, ohne Ziele zu verfolgen, die in einem kapitalistischen oder patriarchalen Kontext stehen. Die Liebe zu diesen Behinderten ist auch eine Liebe zur Authentizität, zur Ehrlichkeit, zu Menschen, die keine Masken tragen, weil sie diese gar nicht tragen können. Nacktheit ist antikapitalistisch. Prüderie gehört zum Konservatismus, zum Patriarchat. In der Weimarer Republik wurde Nacktheit immer mehr proklamiert, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der BRD diese Strömung nicht weitergeführt, sondern abgewürgt, die prüde Welle wurde von den Besatzern ausgelöst, die Amerikanisierung war rückschrittlich und konservativ, noch im Jahr 2018 sitzen Engländer und Amerikaner mit Boxershorts im Dampfbad. In der DDR wurde Nacktheit weitergeführt, der Sozialismus ließ diese Kultur weiter zu und sich weiter ausbreiten. Kapitalistische Gegenmaßnahmen waren schwächer, noch heute sind Menschen aus den neuen Bundesländern gegenüber FKK viel mehr aufgeschlossen, als in den alten Bundesländern, im "Westen". Der freie Westen entpuppt sich in diesem Punkt als enges Regelwerk, umspannt von kapitalistischen Nebeneffekten. Frauen, die das Patriarchat kopieren, sind keine Feministinnen, obwohl sich eine Frau dafür halten könnte, wenn sie Hosen trägt. Eine Managerin, die empathielos nur auf Gewinn wirtschaftet, dient genauso dem männlichen patriarchalen Kapitalismus wie ihr männliches Pendant. Deshalb bringt eine Frauenquote nichts, da nur das Genital gefördert wird, die Vagina, aber nicht das Verhalten. Eine Frau, die sich genauso verhält, wie die Männer, deren Verhalten geändert werden soll, bringt keine Veränderung im Patriarchat. Und Männer, die feministisch agieren, könnten sogar von einer patriarchalen Frau durch die Frauenquote ersetzt werden. Die Grenzen im Patriarchat verlaufen also nicht per se über das Genital, sondern über das Verhalten. Das Genital weist aber Penisbesitzern ausnahmslos die Möglichkeit der Macht zu, ob sie davon Gebrauch machen, ist aber dann eine andere Frage. Vaginabesitzerinnen haben per se weniger oder keine Macht. Dazu müssen wir nicht bis nach Indien schauen.

(Salammbo, Band 1)



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